Kategorie: Bodypositivity

Shavasana ist eine herausfordernde Praxis

Shavasna ist eine herausfordernde Praxis

Shavasana ist eine fortgeschrittene Haltung

„Shavasana ist eine herausfordernde Praxis“ – mit dieser unpopular opinion lehne ich mich etwas aus dem Fenster, schließlich gilt Shavasana im Yoga gemeinhin als „leichte“ Position, als „Erleichterung“, als die Position, in der man in die tiefe Entspannung, in die Ruhe geht. 

Aber was, wenn diese Position gar nicht allen von uns leicht fällt? Was, wenn sie mental und emotional herausfordernd ist? Was bedeutet das für die gesamte Yogapraxis? 

Ein Annäherungsversuch aus einer ungewöhnlichen Perspektive.

Die Herausforderung ist mental

„Nur“ zu liegen scheint sehr einfach zu sein. Doch wenn der Körper zur Ruhe kommt und es keine klaren Anleitungen mehr gibt, was es zu tun gibt, dann ist man alleine mit seinen Gedanken und Emotionen, die in diesem Moment sehr laut werden können. So kommt es nicht selten vor, dass die Endentspannung einer Yogastunde, insbesondere dann, wenn sie in Stille und ohne Fokus auf z. B. die Atmung oder eine konkrete Übung erfolgt, nicht die erhoffte Entspannung bringt. Stattdessen wird sie vielleicht zu dem Raum, in dem das Gedankenkarussell los geht. „Mache ich das gerade richtig?“, „Wie lange dauert das denn noch?“, „Ich muss noch XY erledigen“ – und ähnliche Gedankengänge beginnen sich zu verselbstständigen. Vielleicht kommen dann noch Ärger und Selbstzweifel hinzu, dass man es „nicht einmal hier“ schafft, zur Ruhe zu kommen. 

Liegen als Stereotyp

Hinzu kommt, dass Shavasana, die Entspannungsposition in Rückenlage, in der Yogapraxis dicker Menschen mit einem häufigen Stereotyp kollidiert: Nicht selten waren sie in ihrem Leben sicher schon mit dem Vorurteil konfrontiert, dass Dicksein mit Faulsein gleichzusetzen sei. Und Faulheit ist zum einen etwas, was in unserer Gesellschaft negativ behaftet ist – und zum anderen etwas, das immer auch mal wieder mit dem Liegezustand verbunden wird. So kann es dazu kommen, dass dicke Menschen in Shavasana nicht entspannen können, sondern sich (ggf. unbewusst) angespannt fühlen. Sich vielleicht fühlen, als würden sie gerade zu wenig tun. Zu wenig tun, um unter Beweis zu stellen, dass sie nicht faul sind. Dabei sind Ruhe und Entspannung selbstverständlich für keinen Menschen, unabhängig von der Körperform, etwas, das man sich zuerst verdienen muss.  

„Liegen kann ich!“

Und um die steilen Thesen zu komplettieren kommt noch ein dritter Aspekt ins Spiel: Als dicke Person fragt man sich in Angeboten, die in irgendeiner Form etwas mit Bewegung zu tun haben, nahezu unweigerlich und konstant: „Kann ich das jetzt?“ oder auch: „Werde ich mich blamieren?“ Mit den wechselnden Haltungen in jeder Yogastunde kommt diese Frage also immer wieder aufs Neue auf, oftmals verbunden mit Gefühlen wie Scham oder Selbstzweifel. Schlimmstenfalls ergänzt um die Angst davor, vor allen anderen Teilnehmenden korrigiert oder – bewahre – vorgeführt zu werden. Mit der Ansage, dass man nun in Shavasana kommen könne, kann man das (vorerst) erleichterte Seufzen im Raum fast greifen. Selbst im virtuellen Raum. Woher kommt diese Erleichterung? Aus der Vorfreude auf die Entspannung? Oder auch aus der Erleichterung darüber, sich jetzt nicht mehr permanent abgleichen zu müssen und in durchgehender Vorsichtshaltung zu sein, ob man die nächste Haltung „gut“ mitmachen kann oder nicht.

All diese Empfindungen sind valide. Und sie sind Symptom einer Gesellschaft, in der Bewegung immer auch an einen Leistungsgedanken und Selbstoptimierung geknüpft ist. In den seltensten Fällen bewegen wir uns einfach nur zum Spaß – ohne Bewertung, ohne Anspruch, es besonders gut oder ästhetisch zu machen. Und als dicker Mensch wird dieser (empfundene und vermittelte) Anspruch noch einmal mächtiger. Schließlich wird er ergänzt um die Angst davor, exponiert zu werden, nicht mithalten zu können, nicht zu genügen, zu viel zu schwitzen und und und.  

Aber jetzt mal ernsthaft: Das kann es doch nicht sein!? In einer Yogastunde bereiten wir den Körper mit den Haltungen darauf vor, tiefer in die Meditation kommen zu können. Warum sollte es also okay sein, dass all diese Gedanken, Sorgen und Beschäftigungen mit unserem Körper dazu führen, dass wir davon abgehalten werden, in die Meditation und eine tiefe Entspannung zu kommen!?

Wir brauchen achtsamere Yogaangebote

Yoga scheint der Inbegriff von Achtsamkeit zu sein, die gelebte Realität sieht häufig jedoch anders aus. So werden also verschiedene Lebensrealitäten, Empfindungen und Bedürfnisse bei der Stundenkonzeption nicht mit gedacht. Und ein gutes Stundenkonzept darf bei Shavasana, der Endentspannung in Rückenlage, nicht aufhören. Ebensowenig darf es den Fokus darauf legen, nur Körperhaltungen zum Selbstzweck oder gar zum Zweck der Selbstoptimierung zu vermitteln. Es darf auch nicht davon ausgehen, dass alle Teilnehmenden die gleichen Voraussetzungen mitbringen und alle Vorgaben gleichermaßen erfüllen können. 

Umso dringender brauchen wir wirklich achtsame Yogaangebote – die die oben genannten Aspekte berücksichtigen und die Teilnehmenden so dabei begleiten, achtsam mit sich selbst zu sein. 

Konkret:

Es braucht Yogalehrer*innen,

  • … die vielfältige Variationen anbieten, individuell zu jedem Menschen, seiner Vorgeschichte, seiner aktuellen körperlichen Konstitution und der Körperform passen.
  • … für die Hilfsmittel ein selbstverständlicher Teil der Yogapraxis sind.
  • … die eine vertrauensvolle, nicht auf Leistung, Selbstoptimierung und Vergleich ausgerichtete Praxis anbieten.
  • … die liebe-, hingebungs- und vertrauensvoll begleiten.
  • … die wissen, dass es nicht die eine, korrekte, für jede Person gleichermaßen passende Asana – oder gar Yogapraxis gibt. Die wissen und vorleben, dass jede Variation gleichwertig ist.
  • … die die Kontrolle und die Expertise über sich selbst bei ihren Schüler*innen lassen. Die Raum für Pausen geben. Und Raum für eigene Anpassungen und Variationen.
  • … die ihre Teilnehmenden auf dem Weg zu sich selbst begleiten. 

Es braucht weniger Hochglanz-Lifestyle-Anspruch und mehr aufrichtiges Interesse und Verbindung.

Dann klappts auch mit der Entspannung

Zusätzlich dürfen wir uns auch bewusst machen, dass Veränderung ein Prozess ist, der Zeit braucht. Nichts von dem, was wir über viele Jahre gelernt und verinnerlicht haben, lässt sich mit einer Yogastunde umkehren.

Aber mit achtsamen, vertrauensvollen Yogaangeboten ist es möglich, Gelerntes ganz allmählich und Schritt für Schritt zu entlernen. Ins Vertrauen zu kommen. Zu sich und seinen Bedürfnissen zu kommen. Zu verstehen, warum wir uns verhalten, wie wir uns verhalten – und welchen Anteil daran unser Umfeld und die Gesellschaft haben. Und mit all diesen Prozessen werden wir spüren, dass Shavasana uns allmählich den Raum für die Entspannung bieten kann, die wir uns wünschen. Und dass es bis dahin eine fortschrittliche (und fortgeschrittene) Praxis war. 

Fatfriendly Yoga – Ein Erklärungsversuch

Fatfriendly Yoga: Ein Erklärungsversuch

Anne von Bauchraum Yoga in einer Variation der Kamelposition

Häufig verwende ich Begriffe wie „fatfriendly“ oder „Plus Size Yoga“, um zu beschreiben, an welche Menschen ich mich speziell mit meinem Angebot richten möchte und gleichzeitig schon einmal einen kurzen Ausblick darauf zu geben, was einen erwartet, wenn man zu mir in eine Yogastunde kommt.

 

 

Um das noch ein bisschen mehr zu spezifizieren, möchte ich nachfolgend zunächst einmal erklären, was ich mit fatfriendly und Plus Size Yoga überhaupt meine.

Fatfriendly Yoga

 

Die Worte „dick“, „fett“ – oder im Englischen „fat“ haben in der Vergangenheit eine extrem negative Besetzung erfahren. Das merkt man daran, dass sie genutzt werden, um andere zu beschimpfen, herabzuwürdigen – oder sich selbst sehr hart zu be- und verurteilen. Wie oft habe ich schon den Satz von Freund*innen gehört „Oh Mensch, ich bin richtig fett geworden.“ Meist verbunden mit negativen Gefühlen, wie Traurigkeit, Wut, Scham und Angst. Statt diese Gefühle dann gegen eine Gesellschaft zu richten, die uns weismacht, dass man „dick“ in irgendeiner Art falsch ist (wahlweise faul, ungesund, träge, ungelenkig, unsportlich – die Liste ist beliebig fortsetzbar), werden die Gefühle gegen sich selbst gerichtet. Menschen beginnen damit, die von der Gesellschaft vermittelten (Vor-)Urteile zu adaptieren, auf sich selbst anzuwenden und geraten somit in einen Kreislauf aus Angst davor, von außen abgewertet zu werden, Scham, Diäten und Frust.

 

Mein Bestreben (und damit reihe ich mich in eine lange Liste wunderbarer Frauen ein, die sich seit Jahren gegen Fatphobia (dt.: „Fettphobie“) einsetzen) ist es, die Begriffe „dick“, „fett“, „dick_fett“ oder auch „fat“, nicht wertend, sondern beschreibend einzusetzen. Ich erkenne also damit körperliche Merkmale, sowohl bei mir als auch bei anderen, an ohne sie auf- oder abzuwerten. Zumindest versuche ich das. Ich darf mich dabei immer wieder daran erinnern, dass auch ich selbst auf der Reise bin und mein Leben lang von Fettphobie und allen damit verbundenen, negativen Gefühlen und Verhaltensmustern geprägt worden bin, die sich nicht von Heute auf Morgen ablegen lassen.

 

Von Fat- zu -friendly

 

Im nächsten Schritt kommt das „-friendly“ zum „fat-„. Damit ist gemeint, dass es sich um eine Einstellung oder auch eine Grundhaltung handelt, die dicken Menschen gegenüber wohlgesinnt ist, die ihre Individualität und Bedürfnisse genau so wahrnehmen wie die Individualität und Bedürfnisse aller Menschen, ohne sie als „besonders“ herauszustellen.

 

In einem weiteren Schritt werden diese wahrgenommenen Bedürfnisse dann in Angebote übersetzt, die diesen Bedürfnissen gerecht werden – und zwar ohne sie als „Ausnahme“, als „Anpassung“ oder als „Extrawurst“ zu markieren, sondern als gleichwertiges Angebot zu allen anderen, parallel existierenden Angeboten.

 

Ein Definitionsversuch

 

Fatfriendly Yoga ist somit ein an den Bedürfnissen dicker Menschen orientiertes Yoga Angebot, wobei die Yogaart damit nicht näher spezifiziert werden muss. Es kann sich um Hatha- (eher statische Haltungen), Vinyasa- (eher dynamische Flows) oder auch um reine Meditationsangebote handeln. Häufig sind dabei Menschen jeder Körperform willkommen, wobei deutlich kommuniziert wird, dass es keinen Platz für „Bodyshaming“ (Beschämung aufgrund körperlicher Merkmale), Herabwürdigungen und Diskriminierungen gibt.

 

Plus Size Yoga

 

Ich persönlich verwende den Begriff „Plus Size Yoga“ meist überwiegend synonym zu „fatfriendly Yoga“. Das „Plus Size“ war zuerst da, weil es in meiner eigenen Wahrnehmung, die sich in den Bereichen Fettphobie, Diätkultur etc. auch erst Schritt für Schritt schärft, leichter zugänglich war und ich auf Anhieb ein Bild von dem hatte, was denn da angeboten wird.

 

Mittlerweile tendiere ich immer häufiger auch zu dem Begriff „fatfriendly Yoga“ – einerseits, um den Begriff „fat“, wie oben beschrieben, weg von einer Wertung hin zu einer Beschreibung zu bringen, andererseits aber auch, weil ich ihn mehr on Point finde.

Wie sieht ein fatfriendly Yoga Angebot aus?

 

Die Aspekte, die ich nachfolgend beschreibe, erheben keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit oder Vollständigkeit. Sie entstammen dem, was ich aus meiner eigenen Erfahrung als Yogaschülerin und auch als Yogalehrerin mitbringe und über viele Jahre hinweg erlebt und (v-)erarbeitet habe.

 

 

Körperliche Aspekte

 

Ich erlebe es häufig, dass Personen sich nicht trauen, mit Yoga zu starten, weil sie Angst haben, zu unflexibel, zu behäbig, zu dick oder „sich selbst im Weg“ zu sein. Ich kenne diese Angst, ich habe sie selbst immer und immer wieder gespürt. Im fatfriendly Yoga ist die Grundhaltung, dass es keinen Körper gibt, der sich nicht dazu eignet Yoga zu praktizieren. Mit jeder Körperform ist es möglich, Yoga auszuüben, auch deshalb, weil Yoga viel, viel mehr umfasst als nur dir Körperhaltungen (Asanas).

 

Speziell bei den Körperhaltungen werden aber Eigenschaften berücksichtigt, die dicke Körper auszeichnen.

 

So gibt es z. B. Anleitungen dazu, wie man einen dicken Bauch in eine Haltung integrieren kann oder wie man eine Haltung variieren kann, wenn sie aufgrund von dicken Oberschenkeln oder einer großen Brust nicht eingenommen werden kann – bzw. sich einfach nicht gut anfühlt.

 

Zentral dabei ist immer: Jede Haltung soll sich gut für die ausübende Person anfühlen und keine Schmerzen verursachen und:<strong> Jede Variation ist gleichwertig</strong>. Es gibt nicht die eine, perfekte „Zielhaltung“, zu der die Variation nur ein fauler Kompromiss ist. Damit wird anerkannt, dass jeder Körper unterschiedliche Bedürfnisse hat und sich an ebendiesen Bedürfnissen orientiert.

 

Ähnliches gilt auch für den Umgang mit Gelenken. Hier wird berücksichtigt, dass ein hohes Körpergewicht eine entsprechende Belastung für Gelenke darstellen kann. Dementsprechend werden die Gelenke im fatfriendly Yoga aufgewärmt, die Haltungen werden variiert (z. B. unter Zuhilfenahme allerlei Utensilien wie Blöcken, Gurte, Kissen oder auch Stühle) und die Dauer, die in der Haltung geblieben wird, ggf. angepasst.

 

Die Verwendung von Utensilien

 

Ich vermeide i. d. R. den Begriff „Hilfsmittel“, weil er suggeriert, dass es sich um eine Art Notlösung handelt oder etwas, das man braucht, weil man nicht „gut genug“ ist oder etwas nicht „gut genug“ kann. Stattdessen nutze ich meist den Begriff „Utensilien“. Dabei ist auch hier wieder ganz zentral, dass jeder Körper – ganz unabhängig von Form und Gewicht – unterschiedlich ist und unterschiedliche Bedürfnisse hat. So kommt es im Yoga häufig vor, dass etwa die Arme zu kurz sind – wofür Blöcke und ein Yogagurt ganz ausgezeichnete Begleiter sind.

 

Im fatfriendly Yoga sind sie fester Bestandteil aller (meiner) Yogastunden und kommen nicht erst dann zum Einsatz, wenn es nicht anders geht. Sie werden ganz selbstverständlich verwendet und machen es so häufig leichter, Vorbehalte gegenüber verschiedenen Haltungen abzubauen und sie stattdessen individuell erfahrbar zu machen.

 

Emotionale Aspekte

 

Yoga ist zwar viel mehr als nur das Ausführen und Halten von Körperübungen, aber gerade in Verbindung mit diesen körperlichen Aspekten kommen bei dicken Menschen häufig eine Vielzahl an Emotionen auf, zu denen unter anderem Angst, Scham, Wut, Traurigkeit, Verzweiflung, Frust und viele mehr zählen können. Für all diese Gefühle gibt es Raum in (m)einem fatfriendly Yogaangebot. Ich erkenne sie an, ich will sie nicht wegwischen. Aber ich will einen sicheren Raum kreieren und halten, in dem korrigierende Erfahrungen gemacht werden können. In denen wir ganz behutsam erfahren können, dass mit Bewegung auch Freude und Wohltun verbunden sein kann.

 

Und ich gestalte meine Wortwahl so, dass ich mich von jeglichem Leistungsgedanken verabschiede, um keine alten negativen Gefühle von Neuem aufzuwecken und es zu vermeiden, dass sie in noch einem weiteren Setting erfahren und noch weiter verfestigt werden.